Neulich bei mir am Frühstückstisch:
Kind 1: „Mama, ach übrigens, meine Reitstunde verschiebt sich heute um eine Stunde.“
Argh. Zähneknirschen meinerseits. Der Tag war gut geplant. Die Termine haben ineinandergegriffen wie Zahnräder. Meine Termine waren so organisiert, dass alles erledigt werden kann was erledigt werden musste. Ein einfacher Satz von meiner Tochter und er bringt meinen sorgfältig geplanten Tag komplett durcheinander.
Denn: Genau zu dieser Zeit muss Kind 2 zum Kieferorthopäden (Da fällt mir ein: hat Kind 2 die Zahnspange auch wirklich jede Woche verstellt?!?). Vorher kein Thema – jetzt schon. Beide Kinder sind auf mich angewiesen, um sie von A nach B zu chauffieren.
Dazwischen hängt noch ein Hund der Gassi geführt werden muss (ah, da muss ich unbedingt an die Impfung in 4 Wochen denken). Hemden die gebügelt werden wollen (wann war nochmal der Geschäftstermin und mein Mann damit am Abend nicht da?). Abends ein Training zu dem Kind 2 gehen soll (passen da die TrainingsShorts eigentlich noch?).
Und ich selbst habe nach dem Zahnarzttermin und vor dem Trainingstermin noch eine Besprechung mit meiner internetten Fee (stehen da die Tagesordungspunkte schon?) ….
Dieser Gedankenprozess schwirrt durch meinen Kopf, obwohl ich meinen unbedingt notwendigen Morgenkaffe noch nicht ausgetrunken habe. Meine Familie um mich herum bemerkt nicht, was in mir vorgeht. Sie sehen nur, dass ich die Stirn kraus ziehe und mümmeln weiterhin schlaftrunken ihr Müsli.
Und ja, ich finde eine Lösung – ich muss halt nur kurz telefonieren und gucken, wie ich mir Unterstützung organisiere. Aber, es ist einfach anstrengend.
Mein Mann, auf dem Sprung zur Arbeit, meint nur: „Ist doch nur eine Reitstunde die um eine Stunde verschoben wird…“ und weiß nicht, dass ich innerlich einige Flüche ausstoße. Es ist nach außen ganz einfach nicht ersichtlich, welchen Aufwand es bedeutet, diese eine Stunde in einem getakteten Alltag auszugleichen. Und das hier ist ein echt harmloses Beispiel.
Der ganz normale Wahnsinn, den wahrscheinlich jede Mutter nachvollziehen kann.
Aber was läuft da ab? Was passiert in solchen Momenten?
Häufig sind es ganz einfach die Frauen, die die ToDo’s rund um die Familie im Blick haben. Und das sind Dinge, die im Haushalt und der Familienorganisation getan oder eben auch geplant werden müssen. Da gibt es ein ganz fein abgestimmtes Netz an Terminen und Erledigungen, die wie geschmiert funktionieren. Aber halt nur deshalb, weil sich jemand darum kümmert.
Und genau dieses „Kümmern“, dieses „Dran-Denken“ ist es, was anstrengend ist. Das läuft unsichtbar. Das sind Dinge, die man nicht besprechen muss. Doch sie laufen als „Hintergrundgeräusche“ im Alltag mit.
Die Haare der Kids sind zu lang – sie brauchen einen Friseurtermin.
Es wird Sommer, die Kids sind gewachsen – brauchen sie neue Klamotten?
Das Trikot muss noch gewaschen werden.
Sind noch genug Unterhosen im Schrank?
Was wollten wir nochmal als Dankeschön für die Einladung vom Geschäftspartner mitbringen?
Es gibt tatsächlich einen Begriff, der diesen Zustand von vielen Frauen beschreibt. Mental Load.
Mental Load beschreibt den Gesamtaufwand und die Mehrbelastung, die durch Haushaltstätigkeiten und Kindererziehung entstehen […] Über die Summe der praktischen Aufgaben hinaus umfasst Mental Load auch die Last der alltäglichen Verantwortung für das Organisieren von Haushalt und Familie, die Beziehungspflege sowie das Auffangen persönlicher Bedürfnisse und Befindlichkeiten. ~ Wikipedia
Bekanntgemacht wurde der Begriff Mental Load durch die französische Illustratorin Emma. In ihrem 2017 veröffentlichten Comic „Warum hast du mich nicht gefragt?“ beschreibt sie eine typische Alltagssituation, in der die Frau an alles denkt und viele Arbeiten vorweg schon erledigt und der Mann dies nicht erkennt. Der Comic hat einen Nerv der Zeit getroffen und wurde dutzendfach im Internet geteilt.
Warum bezieht sich Mental Load hauptsächlich auf Frauen?
Leider ist die Antwort relativ einfach: Laut einer Studie des Statistischen Amtes der Europäischen Union vom August 2018 wird Hausarbeit in Deutschland immer noch zu 72 Prozent von Frauen übernommen. Bei der Kinderbetreuung liegt die Leistung der Frauen sogar bei 88 Prozent
Damit liegt die Verantwortung für die Prozesse in der Familie und Beziehung hauptsächlich bei der Frau und es entsteht ein Ungleichgewicht. Sie wird zur Managerin. Der Partner zum Praktikanten. Wollen wir das wirklich?
Sind die Frauen jetzt selbst schuld? Sind die Männer schuld, weil sie sich aus der Verantwortung stehlen?
Dazu gibt es in meinem Weltbild keine pauschale Antwort. Vielmehr sollte geschaut werden, woher diese gewachsenen Strukturen herkommen. Nur 4 von 10 Vätern nehmen tatsächlich Elternzeit – und das meistens auch nur zwei Monate und mit der Mutter zusammen. Das heißt: Die Frau, die mit den Kids zu Hause bleibt, schafft sich ihre Routinen. Organisiert sich. Übt. Probiert aus. Weiß was funktioniert und was nicht. Sie sammelt Erfahrungen und wird dadurch geübter im Familienalltag.
Hinzu kommt, dass es auch eine weibliche Qualität ist, das Wohl der Anderen im Blick zu haben. Empathisch zu sein. Zu sehen, was es braucht. Auszugleichen wo Gemüter hochkochen könnten. Und nur zur Anmerkung: Auch Männer haben weibliche Qualitäten. Daher können das nicht nur Frauen…
Frauen werden diese Rolle der Familien-Managerin leider nur schwer wieder los. Die vorangegangenen Generationen haben das vorgelebt und ein Gesellschaftsbild geprägt, gegen das die jungen Eltern und Paare zwar versuchen anzugehen, das aber an uns klebt wie Kaugummi unterm Schuh.
Gerade wenn Frauen wieder in den Beruf zurückkehren und meistens Teilzeit arbeiten, ist es wie selbstverständlich, dass sie durch die wenigere Arbeitszeit Zuhause mehr übernehmen.
Und es geht hier und jetzt nicht darum, den Männern den schwarzen Peter zuzuschieben, dass sie zu wenig unterstützen würden. Denn das tun sehr viele „moderne“ Männer inzwischen. Allerdings meistens nur auf Ansage.
Der Müll muss runter gebracht werden.
Kind 2 braucht Unterstützung bei den Matheaufgaben.
Die Glühbirnen sind seit 3 Wochen kaputt – würdest du sie bitte wechseln.
Kannst du bitte den Tisch decken?
Heute Nacht soll es regnen. Hol bitte die Polster von Terrasse rein.
Das viele Dran-Denken und die damit einhergehende Verantwortung bringt viele Frauen an den Rand ihrer emotionalen und körperlichen Kapazität.
Müdigkeit. Erschöpfung. GedankenKreisel.
Welche Frau kennt diese Momente nicht? Das sind die Situationen die einen ganz schnell aus dem Gleichgewicht bringen können und man handelt dann nicht mehr so, wie man sich das eigentlich wünschen würde.
Ungerechtigkeit den Kids gegenüber.
Laute Ansagen, wenn etwas nicht gleich funktioniert.
Streit und Vorwürfe an den Partner.
Gehetztes durch den Alltag eilen.
Der Alltag frisst die Frau die man mal war auf. Die Partnerschaft bekommt immer weniger Raum. Enttäuschung über sich selbst und unerfüllte Träume macht sich breit. Unzufriedenheit. Der Wunsch einfach mal auszusteigen wird immer größer.
Raus aus dem Funktionieren – Verantwortung verteilen
Klar könnte man jetzt sagen: Verteilt doch einfach die Verantwortung anders. Sprecht Euch ab. Plant besser. Redet. Aber das wäre den letzten vor dem ersten Schritt zu tun. Denn die Veränderung fängt ganz wo anders an. Nämlich bei sich selbst.
Frauen kommen dann aus ihrem inneren Gleichgewicht, wenn sie sich selbst und ihren Körper in ihren verschiedenen Rollen in ihrem Leben nicht mehr spüren. Wenn diese Rollen nicht mehr nach den Werten und Vorstellungen ausgerichtet sind. Wenn sie nicht mehr wissen, was eigentlich wichtig ist. Wo ihre Grenzen liegen. Was sie wirklich wollen. Was nicht. Wenn sie den Zugang zu sich selbst verloren haben.
Ein erster Schritt könnte sein, sich darüber bewusst zu werden, welche Muster da eigentlich ablaufen. Gedanklich einen Schritt zurücktreten und zu bemerken „Holla, da leiste ich gerade ganz schön viel und nehme mich selbst nicht wichtig genug.“ Um sich dann auf die Spurensuche nach sich selbst zu machen. Wahrzunehmen, was sich gut anfühlt. Sich die Erlaubnis zu geben, nicht alles alleine regeln zu müssen. Und sich die Zeit zu nehmen, sich selbst zu reflektieren.
Erlaube dir mit Fragen unterwegs zu sein:
Was denke ich über mich selbst?
Was wünsche ich mir vom Leben?
Was heißt Frau Sein für mich?
Wie kann ich das leben?
Was macht eine gute Mutter aus?
Wie möchte ich mein MutterSein in dieser Welt ausdrücken?
Nährt mich mein Umfeld?
Auf welcher der vielen Hochzeiten möchte ich tanzen?
Was ist erfüllender Erfolg für mich?
So wirst du für dich eine liebevolle Klarheit finden, die es dir ermöglicht aus einer inneren Stärke heraus Verantwortung an deinen Partner abzugeben und sie auch bei ihm zu lassen. Und weißt du, du machst das zwar in erster Linie für dich, aber auch für die nächste Generation. Für deine Tochter. Für deinen Sohn. Damit sie in dir ein Vorbild sehen, das sich wichtig nimmt. Das innere Klarheit und Ausgeglichenheit finden und leben kann.
Manchmal geht das nicht so einfach. Manchmal steht man sich selbst im Weg. Da weiß der Kopf was richtig wäre – aber die Gefühle und Emotionen wollen da nicht mitgehen. Da ist die Angst vor Streit. Vor Unstimmigkeiten. Da ist das Gefühl, dass es einem erst dann gut geht, wenn es allen anderen gut geht. Vielleicht weißt du auch gar nicht, wo du anfangen sollst. Und schon bist du in einem neuen Planungsprozess gefangen, der ein zusätzlicher Stressfaktor für dein „Daran muss ich denken“ ist.
Du musst das nicht alleine schaffen.
Es gibt Menschen wie mich, die Frauen genau in solchen Prozessen begleiten. Erlaube dir Fragen zu stellen, die dich näher zu dir selbst bringen. Erlaube dir Bücher dazu zu lesen. Seminare dazu zu machen. Workshops zu besuchen. Mit Freundinnen darüber zu philosophieren. Erlaube dir, deiner Seele wieder zuzuhören. Ihre Wünsche zu hören.
Mache dir selbst deine unbewusste Arbeit bewusst, damit andere sie wertschätzen können.
Als FamilienManagerin trägst du enorm viel Verantwortung für die sichtbare Sorgearbeit in der Familie. Eine Familie braucht aber auch verlässliche Strukturen und Rituale, um liebevoll den Rahmen für das gemeinsame Miteinander halten zu können. Das ist deine unsichtbare Arbeit die du leistest. Du Planst. Du Kümmerst. Du Sorgst. Du Gleichst aus. Du hast alles im Blick. Das alleine ist eigentlich ein VollzeitJob.
Bevor du jetzt losgehst und deinen Mann dazu verdonnerst mehr Verantwortung zu übernehmen – geh in dich und werde dir darüber klar: Wo soll sich was verändern? Wo kommst du an deine Grenzen? Wo erwartest du, dass dein Mann konkret Verantwortung übernimmt (auch wenn du es vielleicht anders machen würdest)? Wer bist du? Was wünschst du dir vom Leben?
Wenn du das weißt, dann ist es an der Zeit aktiv zu werden und dir dein Leben so zu gestalten, wie es dir gut tut. Fühle. Spüre. Lebe wer du wirklich bist.